Der 1. Weltkrieg in den Alpen

Die Bosniaken am Monte Solarolo

Von Kriegsberichterstatter Walter Oertel.
(1918)

Es war in jenen heißen Julitagen der italienischen Offensive, in denen die Italiener den ehernen Ring zu sprengen suchten, den die österreichisch-ungarischen Truppen um das Grappamassiv gelegt hatten. Am 15. Juli 1918 brachen sie zwischen dem Monte Pertica und dem Calcinotale vor, um sich des Monte Solarolo zu bemächtigen, der, wie ein Außenwerk vorgeschoben, die Hauptstellung der österreichisch-ungarischen Linien am Monte Pertica deckte. Der Angriff war gut vorbereitet worden. Mehrere Tage zuvor hatten die Italiener eine starke Artilleriegruppe zusammengezogen, deren Geschütze morgens um vier Uhr auf die österreichisch-ungarischen Stellungen loszuhämmern begannen. Am 15. Juni 1918 hatten die k. u. k. Truppen den Monte Solarolo erstürmt. Seitdem hatten die Verteidiger fast täglich im Gefecht gelegen, und nur unvollkommen in dem harten Felsboden ausgebohrte Gräben gewährten einigermaßen Schutz. Stumm kauerten die Bosniaken des 4. Regiments in den dürftigen Unterständen der schmalen Gräben und ließen den Granatenorkan über sich dahinbrausen. Sie kannten solche Beschießungen wohl. In der Brückenschanze von Görz. am Monte San Michele lernten sie das italienische Trommelfeuer zur Genüge kennen. Sie sahen aber auch den Rücken fliehender Italiener, als sie siegreich über die Hochfläche von Moscheri stürmten, als in Piazza das nachhutdeckende Alpinibataillon bis auf den letzten Mann von ihnen aufgerieben wurde, und als am Borcolapaß die Bersaglieri ihrem rasenden Anlaufe wichen. Sie wußten genau, auch ihre Stunde kam. Sobald die Italiener aus den Gräben auftauchten, da faßte sie Maschinengewehrfeuer und das wohlgezielte Schnellfeuer der Mannlichergewehre, bis man endlich zum Bajonett griff, um die verhaßten Gegner ganz zu werfen. Die Bosniaken warten; da gellen durch das Platzen der Schrapnelle, durch das Krachen der Granaten schrill die Signalpfeifen der Zugführer. "Auf! Auf! Sie kommen!" Alles stürzt hinaus, um die Feuerlinie zu besetzen. Da sehen sie die Italiener, wie sie sich emporschieben, kletternd, springend, Welle hinter Welle im grau-grünen Kriegskleide mit dem flachen Stahlhelm auf dem Kopfe. Da prasselt es bei den Bosniaken los. Die Mannlicher speien Tod und Verderben; die Söhne der Berge Bosniens und der Herzegowina sind nicht umsonst als vorzügliche Schützen bekannt. Durch den Kopf geschossen bricht Feind auf Feind zusammen. Dazwischen tacken die Maschinengewehre und verstreuen ihre Kugelsaat. Aber die Italiener bleiben im Vorrücken, neue Linien erscheinen und füllen die Lücken. Immer näher kommen sie. Gellend erschallen die Rufe der Führer: "Avanti! Avanti! Sempre avanti Savoia!" Sie nähern sich den Gräben der Bosniaken trotz aller blutigen Verluste; noch wenige Meter, und sie sind im Graben.
Ein erbittertes Handgemenge setzt ein. Die blanke Waffe, das Lieblingskampfmittel der Bosniaken, beginnt zu arbeiten. Doch die Italiener bekommen frische Verstärkung. Stumm kämpfen die Bosniaken um ihr Leben, entschlossen, sich lieber in Stücke hauen zu lassen, als die Stellung zu räumen. Da schlägt stürmischer Siegesruf an ihr Ohr. Die Abschnittsreserve stürzt herbei und reißt ihre Landsleute zum Angriff vor. Im Nu sind die Feinde aus dem Graben geworfen, und dann geht es zum Gegenstoß über.
Aber die Italiener geben nicht nach. Noch zweimal setzen sie zum Sturme gegen den Monte Solarolo an, ihre besten Gebirgstruppen müssen vor. Doch die neuen Angriffe verlaufen noch unglücklicher als der erste.
Kraftlos verebbt der Angriff vor den österreichisch-ungarischen Stellungen; der Monte Solarolo aber bleibt fest in der Hand der tapferen Bosniaken vom 4. Regiment.

 

Die zwölfte Isonzoschlacht 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 17. und 20. November sowie 5. Dezember 1917

I.

Elf Schlachten waren am Isonzo geschlagen. Ströme von Blut waren geflossen. Geringer Geländegewinn war das mit ungeheuern Blutopfern erkaufte Ergebnis für den Angreifer. Die zwölfte Schlacht sollte den tapfern Verteidiger zu Boden werfen, sollte die letzte, die Entscheidungsschlacht werden zum schnellen Siegeszuge nach Triest.
Da rütteln Germanenfäuste an Italiens Grenzmauer. Gewaltige Schläge zerschmettern die Tore. In wenigen Stunden und Tagen stürzt das Werk zweieinhalbjähriger Blutarbeit Italiens in Trümmer. Reste einer vernichteten Armee fluten in die oberitalienische Tiefebene. Deutschland und sein Bundesgenosse hetzen den Feind hinter den Tagliamento. In ehernen Strichen zeichnet die Weltgeschichte das Weltgericht: die Züchtigung und den Zusammenbruch des Verräters am Dreibund! Namen sieggewohnter Führer leuchten auf: General Otto v. Below führt die deutsche XIV. Armee über die Alpen; Krafft v. Dellmensingen, der Schrecken Rumäniens am Roten Turm-Paß, ist sein Generalstabschef; Major Frhr. v. Willisen ist sein tatkräftiger unermüdlicher Erster Generalstabsoffizier. Angriffsfrohe Divisionen, Preußen, Bayern, Württemberger, folgen den bewährten Generalen v. Stein und v. Berrer, brave österreichische Divisionen ihren Generalen v. Krauß und  über die schneebedeckten Gipfel der Julischen Alpen.
Im Becken von Krainburg und nördlich der Karawanken waren die Angriffsgruppen der XIV. Armee versammelt worden. Dort wurde die Ausrüstung für den Winterkrieg im Hochgebirge der Alpen vollendet. In angestrengter Arbeit wurden dort die Angriffsvorbereitungen für den gewaltigen Durchbruch betrieben, der die italienischen Gebirgsstellungen zwischen Flitsch und Tolmein treffen und brechen sollte. In den engen Räumen der Becken von Flitsch und Tolmein mußte die versammelte Armee zum Angriff aufmarschieren. In diese Becken mußte die Armee vorgeschleust werden. Auf etwa 60 km langen, schmalen Paßstraßen mit großen Steigungen galt es, teilweise eine ganze Anzahl Divisionen hintereinander und je etwa die Hälfte der Angriffsartillerie und Minenwerfergruppen angesichts der beherrschenden, weiten Überblick gewährenden feindlichen Stellungen vorzudrücken. Trotz schlechtem, ungünstigem Wetter vollzog sich der Durchmarsch ohne Stocken und ohne Reibung. Ungeheuere Arbeit wurde hier geleistet, nach mustergültiger, planvoller Vorarbeit.
In der elften Isonzoschlacht hatte Cadorna seine Hauptkräfte von Tolmein bis zur Adria zusammengezogen, während die übrige lange Gebirgsfront nur mit schwächern Kräften besetzt blieb. Die österreichisch-ungarische Verteidigungslinie führte von Selo im Tolmeiner Becken über Log östlich Mesnjak, von dort nach Süden über den Monte S. Gabriele, die Wippach-Höhen östlich Görz zum Meere! Nun sollte der Feind aus diesem für eine Defensive ungünstigen Karst-Gebiet hinausgeworfen und zunächst bis hinter den Tagliamento zurückgeschlagen werden. Für diese Operationen wurde im Anschluß an den Südflügel der Heeresgruppe Conrad in Gegend des Rombon-Gebietes die aus deutschen und österreichisch-ungarischen Divisionen gebildete XIV. Armee Below in Linie Flitsch - Tolmein bereitgestellt. Der Nordflügel der anschließenden Isonzo-Armee (Heeresgruppe Boroevic) hatte sich dem Angriff mit starkem rechten Flügel südlich Selo anzuschließen, während Mitte und Südflügel bei und südlich Görz den Gegner durch Frontalangriff festhalten sollte. So standen in den Tagen vor dem Angriff bereit: der Nordflügel der Armee Below (die österreichisch-ungarische, durch deutsche Verbände verstärkte Gruppe Krauß) im Gelände des Rombon und südöstlich die Stoßfront der Armee mit Gruppe Stein im Gebiet des Krn und um Tolmein, mit Gruppe Berrer an Straße Bischoflack-St. Lucia; mit Gruppe Scotti nördlich Tribusa schloß sich der rechte Flügel der Isonzo-Armee an.
Das Kampfgebiet der XIV. Armee lag in dem von den Flußläufen des Tagliamento und Isonzo bestimmten Gelände der Julischen Alpen. In kühn emporstrebenden Gipfelformen fällt das Gebirge vom 2863 m hohen Triglav in Stufen hinab zu der etwa 100 m hoch gelegenen Ebene von Cividale. Weithin beherrscht der Blick von den über 1000 m hohen Randbergen die Ebene. Kein Mittelgebirge mildert den Übergang von der Alpenwelt zur Tiefebene. Dreimal durchbricht im östlichen Teile dieses Gebietes der Isonzo die Kampfzone. Nach seiner Vereinigung mit der Koritnica im Becken von glitsch strömt er mit raschem Gefälle in engem Tal gegen Karfreit. Nur vorübergehend verbreitert der Zufluß der Idria das Flußbett, das sich im Gelände von Tolmein wieder eng zusammenpreßt. Östlich des Isonzo beherrscht das schroffe Krn-Massiv, dessen Hänge in nur 2 km Luftlinie von 2245 m Höhe zu einer Talsohle von 180 m Höhenlage herabstürzen, das Kampfgelände. Im Nordflügel des Angriffsfeldes erheben sich die wilden, kahlen Felswände des Canin bis zu 2600 m Höhe und bis zu 2300 m absoluter Höhe über dem Ort Saga. Ein Angriff vom Flitscher Becken aus muß zunächst den Talweg bis Saga durchstoßen. Erst dort öffnet sich der Ausgang nach Westen. Weiter südlich bilden die Felsblöcke des Stol-Rückens, des Mt. Mia, Mt. Matajur und Mt. Maggiore den Schauplatz der Angriffe. Weithin beherrscht der Mt. Matajur das Tal von Karfreit. Ein Angriff auf die Matajur-Stellung kann nur über die von Tolmein führende Landbrücke des Kolovrat-Rückens durchgeführt werden. Die Bereitstellung der Armee Below in den beiden engen Räumen des Flitscher Beckens und des Brückenkopfes von Tolmein hatte den Nachteil räumlicher Trennung durch die auf dem östlichen Isonzo-Ufer vom Südwesthange des Javorcek über die Bate-Kuppe (2014 m) und den Krn (2245 m) in das Gelände westlich Selo verlaufende Linienführung der italienischen Front, die Basis für die Angriffsdurchführung - die anzustrebende, beide Gruppen verbindende Talstraße Flitsch – Saga – Karfreit - Tolmein - mußte deshalb in Angriff genommen werden. Die strategische Ausnutzung dieser Verbindungstalstraße forderte als erstes, in ununterbrochenem, Tag und Nacht fortzusetzenden Vorstoß zu erreichendes Angriffsziel die Linie Canin - Punta di Mt. Maggiore - Mt. Mia - Mt. Matajur - Mt. San Martino - Mt. Hum und Tribil-Höhen von Costanjevica. Von dieser Höhenlinie aus sollte dann der allgemeine Angriff weiterstoßen bis zur Linie Gemona - Tarcento - Cividale. Die Erfahrungen der Karpathen-, Vogesen- und Alpenkämpfe wiesen der Angriffstaktik den Weg: schneller Vorstoß in unaufhaltsamem Angriff über die verbindenden Landbrücken von Höhe zu Höhe, Ausnutzung der Talstraßen zum Nachführen der Artilleriereserven und des Nachschubes, Aufmeißeln beherrschender Höhenstellungen durch umfassenden Angriff in Flanke und Rücken und durch Umgehung, gegenseitige Unterstützung der Frontal- und Umfassungsgruppen.
Unter diesen Gesichtspunkten wurden zum Angriff und zum gleichzeitigen Durchbruch an mehreren Stellen angesetzt: Gruppe Krauß als rechter Flügel der XIV. Armee über Saga gegen den Stol-Rücken, - eine starke linke Kolonne sollte nach Wegnahme des Vrsik mit Stoßrichtung Ravna - Karfreit das Becken von Karfreit öffnen und den Stol-Rücken von Osten aufrollen - Gruppe Stein wurde gegen den Mt. Matajur angesetzt. Die Einnahme dieses Blockes öffnete das Becken von Karfreit von Südosten und unterstützte so die gleichzeitige, demselben Zweck dienende Operation der Gruppe Krauß. Die Gruppe Berrer wurde gegen den Mt. Hum und zum gleichzeitigen Vorstoß über Drenchia gegen den San Martino im Anschluß an Gruppe Stein angesetzt. Die Gruppe Scotti erhielt den Auftrag, der Isonzo-Armee das Überschreiten des Isonzo zu erleichtern mit dem Angriffsziel Globocak-Costanjevica. Mitte Oktober waren die Angriffsvorbereitungen soweit vorgeschritten, daß der allgemeine Angriff für den Beginn der dritten Oktoberwoche befohlen werden konnte. Bis in kleinste Einzelheiten war der Plan festgelegt. Nach einem Gasschießen von 2 bis 6 Uhr vormittags sollte bei Tagesanbruch die allgemeine Feuereröffnung erfolgen. Nach kurzer höchster Feuersteigerung sollte der Einbruch in die Stellungen auf der ganzen Frontlinie Flitsch-Selo stattfinden. Ungünstiges Wetter verzögerte den Angriff um wenige Tage. Am Abend des 23. Oktober erteilte General v. Below sollenden Befehl:
"Der Angriff findet am 24. Oktober statt. Allgemeine Feuereröffnung 6 Uhr 30 Minuten vormittags. Der Oberbefehlshaber von Below."
Diese knappen Worte sind klassisch und bleiben ein Musterbeispiel deutscher Generalstabsarbeit. Diese zwei Sätze bezeichnen den Abschluß einer Riesenarbeit an Gedanken, Plänen, strategischen und technischen Vorbereitungen. Sie bezeichnen den Beginn des Stoßes, der Italiens II. Armee zu Boden schmetterte. Weltgeschichte von ungeheurer Tragweite liegt in diesen kurzen Worten, Weltgeschichte, erzwungen von deutschen und österreichisch-ungarischen Waffen. Am 24. Oktober beginnt der Angriff. Wenige Stunden später wankt die ins Herz getroffene II. italienische Armee und fällt in Trümmer.

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